Rache als zentrales Motiv erfreut sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts stetig wachsender Beliebtheit bei Filmemachern und Publikum. Gleiches wird mit Gleichem vergolten. Entweder dadurch begründet, dass dem Protagonisten unverzeihliches angetan wurde (Thriller – Ein unbarmherziger Film (1974), Der Graf von Monte Cristo (1975), Kill Bill Vol. 1+2 (2003/2004), Oldboy (2003)) oder aber einer ihm nahe stehenden Person (Die Jungfrauenquelle (1960), dessen Remake Last House on the Left (1972), Spiel mir das Lied vom Tod (1968), Irreversibel (2002), Sweeney Todd (2007)). Der auf dem gleichnamigen Alan Moore-Comic basierende V wie Vendetta (2006) – zugehörig zu erster Kategorie – greift dieses in beinahe allen denkbaren Variationen durchgespielte Motiv auf und verbindet es mit den dystopischen Welten von George Orwell (1984) und Ray Bradbury (Fahrenheit 451).
James McTeigues V wie Vendetta spielt im faschistischen Groß Britannien der Zukunft. Allgemeine Unsicherheit und ein totalitäres Regierungssystem verdammen die öffentliche Stimme zur Passivität. Als Anführer der Revolution setzt es sich der Maskierte V zum Ziel, die unterdrückte Öffentlichkeit zu befreien und den tyrannischen Großkanzler Adam Sutler zu stürzen. Erlebnisse aus Vs Vergangenheit machen aus dem Befreiungsschlag ein persönliches Rache-Szenario. Mittendrin Evey Hammond, die sich für eine Seite entscheiden muss.
Das in V wie Vendetta gezeichnete Gesellschaftsbild ist geprägt von Unterdrückung und umfassender Kontrolle seitens des Staates – personifiziert durch den Großkanzler Sutler. Wie in den großen literarischen Vorbildern (1984, Fahrenheit 451) bestimmt die Umkehrung der Machtverhältnisse das Geschehen. Aus dem herrschenden Volk werden beherrschte Untertanen. Dem Regisseur gelingt es, mit relativ einfachen Mitteln die Unterdrückung greifbar zu machen. Rigoros durchgesetzte, staatliche Restriktionen, denen Evey anfangs beinahe zum Opfer fällt, Vs anklagende Videobotschaft an die britische Bevölkerung und vor allem die Dialoge zwischen Großkanzler Sutler und seinen Beratern zeichnen ein deutliches Bild. Eine im Zusammenhang mit der Unterdrückung höchst eindrucksvolle Szene präsentiert sich dem Zuschauer, als sich alle aufgestaute Energie der Bevölkerung mit einem Paukenschlag freisetzt. Die von Großkanzler Sutler errichteten Mauern werden gesprengt, als sich Heerscharen mit Guy Fawkes-Masken durch Londons Straßen ergießen. Die Revolution hat begonnen. Sutlers Militär wird widerstandslos umspült wie Steine am Strand. Visuell ein dynamisches Highlight, katalysiert durch den maskierten Unbekannten.
V wie Vendetta gelingt es schnell die Sympathien für seinen Protagonisten zu wecken. Filme mit starkem Rache-Motiv haben meist auch die besten Voraussetzungen. Welchem Zuschauer fällt es sonderlich schwer, sich in eine gepeinigte Seele hineinzuversetzen, die nach Vergeltung sinnt? Dieser psychologische Vorteil greift hier jedoch zunächst nicht. Denn McTeigues Film enthüllt Vs Rachemotiv erst verhältnismäßig spät. Vielmehr gewinnt V bereits zu Beginn durch Eloquenz, Charme und konsequentes Auftreten die Gunst des Publikums. Sein Underdog-Charakter im Kampf gegen ein übermächtiges System sorgt für das Übrige. Um den gesichtslosen V als starke Identifikationsfigur zu etablieren, bedient sich der Film häufiger inhaltlicher Parallelen zwischen ihm und anderen positiv belegten Figuren. Dazu baut der Film beispielsweise etliche frappierende Gemeinsamkeiten zwischen V und Eveys Kollegen Gordon auf, der auf eigene Art gegen das Regime des Großkanzlers kämpft. Beide Charaktere verschmelzen. V verliert auf diese Weise etwas von seiner unfassbaren Aura. Er wird als Mensch greifbarer. Seine Sehnsucht nach Rache eindringlicher. Ein intelligenter Zug, bei dem man sich als Zuschauer die Frage stellt, ob der Film auch ohne dieses Stilmittel funktioniert hätte? Höchst wahrscheinlich. Denn Hugo Weaving besitzt selbst unter seiner Guy Fawkes-Maske mehr Ausdrucksvermögen als viele seiner heutigen Kollegen ohne Gesichtsverdeckung. Weaving beziehungsweise die Rolle des Rächers verdeutlicht, wie viel Effekt durch bedacht eingesetztes Gestenspiel erreicht werden kann.
McTeigues V wie Vendetta versteht sich als Unterhaltungsfilm mit dem Anspruch seine Zuschauer zum Mitdenken zu animieren. Keinesfalls sollte die Comicverfilmung als Actionvehikel gesehen werden. Unter diesem Aspekt betrachtet, dürfte vielen Zuschauern eine Enttäuschung bevorstehen. Im Vordergrund steht die Charakterentwicklung der Protagonisten V und Evey. Action mit einem zuverlässigen Gespür für Timing und den richtigen Blickwinkel wird an bestimmten Stellen eingestreut. Merkwürdigerweise erinnern viele der Einstellung und ebenso viele einzelne Bewegungen Vs an die Comicverfilmung Blade (1998) des britischen Regiekollegen Stephen Norrington. Dies sei nur als Randnotiz festgehalten. Was V wie Vendetta wesentlich stärker kennzeichnet, ist seine wertneutrale Auseinandersetzung mit dem Motiv der Blutrache – der Vendetta. So stellt Evey V die Frage nach der Moral seiner Bestrebungen. Jener betrachtet seinen Feldzug als bis zur letzten –tödlichen – Konsequenz gerechtfertigt. Der Zuschauer hingegen muss entscheiden, ob er dieser Meinung folgen kann. Vorgefertigte Antworten liefert der Film nicht. Die Ambivalenz in Vs Charakter tritt hier deutlich hervor. Die Wahl seiner Mittel erinnert stark an seinen Antagonisten Sutler. V bedient sich medialer Propaganda, verübt Anschläge. Er unterzieht Evey mentaler und physischer Folter, um sie zu einem angstfreien Leben umzuerziehen. Alles strikt nach Methodik des Gegners. Doch wo muss man Grenzen ziehen? Kann man Gutes erreichen, indem man die Mittel des Gegners anwendet? Fragen, die ohne Zweifel diskussionswürdig sind.
Nachdem die Wachowski-Brüder ihren Stern mit Hilfe der Matrix-Trilogie (1999 & 2003) sowohl zum Erstrahlen als auch zum anschließenden Erlöschen gebracht hatten, gelang ihnen als Autoren von V wie Vendetta ein großer, überraschender Wurf. Weg von verquasteten, pseudophilosophischen Effektgewittern, hin zu ungewöhnlichen, ambivalenten Charakteren, wohldosierter Action und einer fesselnden Story. Ein Film für Zuschauer, die eine gelungene Verquickung aus Unterhaltung und Tiefgang zu schätzen wissen.
Montag, 27. April 2009
V wie Vendetta
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