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Quelle: ComingSoon.net
Klatsch und Tratsch gleicht einem Volkssport. Die Menschen absorbieren Gerüchte und verbreiten sie weiter. Sie lieben ihren dreckig-anrüchigen Mief - so lange dieser nicht von der eigenen schmutzigen Wäsche herrührt. Je abgründiger, desto besser. Homosexualität, Kommunismus, Drogenmissbrauch und Gewaltverbrechen sind der Stoff, aus dem im Hollywood Mitte des 20. Jahrhunderts tiefschwarze Klatsch-Alpträume für so manche prominente Persönlichkeit gewoben worden sind. Die einen verpuffen noch ehe ihr Klang verhallt ist, andere hingegen haften hartnäckig. Alles streng vertraulich und „Hush-Hush“. Selbstverständlich! L.A. Confidential (1997), basierend auf dem gleichnamigen Mammutwerk des wortgewaltigen Kriminalautors James Ellroy, präsentiert solch ein düsteres Alptraumnetz aus Verbrechen und Klatsch - die Film bzw. im eigentlichen Sinne Buch gewordene Antithese zur vordergründigen Glamourwelt der Traumfabrik Hollywood.
Wem James Ellroys Roman ein Begriff ist, der weiß, um welch komplexe - für eine Adaption denkbar ungeeignet vielschichtige - Vorlage es sich bei „L.A. Confidential“ handelt. In diesem Kontext ist Brian Helgelands Verdienst am Script umso höher einzustufen. Er präsentiert ein Paradebeispiel dafür, wie man aus einer diffizilen Vorlage mit scheinbar chirurgischer Akribie ein kleines Juwel zu Tage fördert. Sicher, Details gehen hier und da verloren und auch der eine oder andere Subplot muss auf der Strecke bleiben. Im Großen und Ganzen ist dies jedoch mehr als gut zu verschmerzen. Es zählt die ausgewogene Balance, welche Helgeland besonders im Hinblick auf den nötigen Entfaltungsraum der drei Protagonisten Edmund Exley, Jack Vincennes und Wendell ’Bud’ White herauskristallisiert hat.
Ein Restaurant-Massaker wird für diese drei grundverschiedenen Charaktere zur Feuerprobe. Jeder mit eigenen Lastern und Schwächen, die er zu schultern hat, gerät auf individuelle Weise in den gleichen Strudel aus Korruption, Mord und Erpressung. Scheinbar zufällige Ereignisse gewinnen in einem übergeordneten Kontext an Bedeutung, geschickt werden Querverbindungen aufgebaut, welche sich schlussendlich zu einem perfekt verwobenen Verbrechensmosaik zusammenfügen. Aus dieser nonchalanten Beiläufigkeit L.A. Confidential zu erzählen, gewinnt der Film seinen ungeheuer starken Reiz und eine nicht zu unterschätzende Bodenständigkeit. Nichts an der Story wirkt erzwungen oder überkonstruiert, nur damit am Ende eine imaginäre Rechnung aufgehen kann. Stattdessen hat der Zuschauer das angenehme Gefühl einer natürlichen Entwicklung, die gar keine anderen Wege hätte einschlagen können, beizuwohnen.
L.A. Confidential ist nicht nur eine Huldigung, eine perfekt inszenierte Reminiszenz in Spielfilmlänge – „L.A. Confidential“ ist reiner Film Noir. Die Handlung, ihre Charaktere, ebenso das gesamte Setting atmen im Sekundentakt den schmutzigen Staub der großen Brüder aus den frühen Tagen Hollywoods – nur vielleicht noch ein Stück weit düsterer, noch dichter und undurchschaubarer gestrickt. Zweifelsohne war in einigen frühen Vertretern der Schwarzen Serie eine klare Rollenverteilung bis zu einem gewissen Grad auch nicht stets gegeben (On Dangerous Ground (1952), Asphalt Jungle (1950)), aber so weit ins Herz der Finsternis wie Regisseur Curtis Hanson dürfte sich bisher kaum jemand gewagt haben, was zumindest unter den damaligen Umständen, bedenkt man u. a. die Reglementierungen des Production Codes, auch nicht weiter verwundert. Sicherlich ließ man zu damaligen Zeiten bevorzugt klar definierte Fronten aufeinanderprallen (Crossfire (1947), The Racket (1951), The Narrow Margin (1952) oder Crime Wave (1954)), um der Gerechtigkeit am Ende mit Hilfe eines strahlenden Helden zu ihrem Recht zu verhelfen.
Dass dies bei L.A. Confidential (und sicherlich anderen Vertretern in abgeschwächterem Maße) nicht der Fall ist, verleiht dem Film und insbesondere seinen Charakteren ihre besondere Anziehungskraft und Vitalität. Der Reiz des Verbotenen schenkt der Geschichte, explizit in Bezug auf den unberechenbaren ’Bud’ White, die emotional stärksten Szenen, welche sich hier evident aus seinen Schwächen entwickeln. Seine Überfürsorge für misshandelte Frauen in Verbindung mit dem exzessiven Hang zur Gewalt versetzen den Zuschauer bereits zu Beginn des Films in starke emotionale Anspannung, die durch geschickt gesetzte Stützpunkte (u.a. die „Bloody Christmas-Schlägerei, Whites wiederholte Konfrontationen mit dem verhassten Ed Exley oder sein Alleingang bei der Befreiung des mexikanischen Mädchens) über die gesamte Spielzeit aufrecht erhalten werden kann. White gelingt es auf süffisante Art, den Zuschauer als Komplizen zu gewinnen und erschreckend leicht für sich zu vereinnahmen. Obwohl er zumindest in der ersten Hälfte nichts weiter als ein Hooligan mit Dienstmarke zu sein scheint, wirken er und seine Taten anziehend. Taten, die objektiv jenseits des Guten liegen, subjektiv aber gefährlich starke Genugtuung bereiten. Aus rein persönlicher Sicht lässt sich deshalb konstatieren, dass ’Bud’ wohl der interessanteste Charakter des Dreiergespanns ist - sowohl in der grandiosen Romanvorlage als auch in Hansons/Helgelands kongenialer Adaption. Dafür prädestinieren ihn sowohl eine kompromisslose Geradeheraus-Attitüde als auch die äußerst subtil eingewobene Charakterentwicklung, die den Bogen vom tumben, aber doch naiv-gutherzigen Prügelknaben zum selbstständig ermittelnden Cop schlägt. (Vielleicht eine direkte Symbiose aus Sterling Haydens Filmcharakteren Dix Handley (Asphalt Jungle) und Det. Lt. Sims (Crime Wave)?! Jedenfalls bestehen vom Typus her zwischen Hayden und Crowe nicht von der Hand zu weisende Parallelen.)
Brian Helgeland ist es hoch anzurechnen, dass er die psychologischen Charakterisierungen und die Vielschichtigkeit der Figuren vorlagengetreu übernommen und filmgerecht verarbeitet hat. Nicht nur White, sondern ebenso die Kollegen Ed Exley und Jack Vincennes bieten im Film genügend Material für eine differenzierte Betrachtung. Der Zuschauer kommt in den Genuss die Charaktere mit verstreichender Zeit besser kennen und verstehen zu lernen. Verhaltensmotivationen werden nicht plump in den Raum geworfen, sie werden beiläufig dargeboten, was seinen Anteil zu der bereits zuvor geschilderten, natürlich erscheinenden Entwicklung des Stoffes beiträgt.
Neben der inhaltlichen Ebene ist ebenso das Formale über jeden Zweifel erhaben. Ein Umstand, der den Freund des klassischen Noir-Kinos beim Anblick von Setting und Requisiten das Herz schneller schlagen lässt. Würde man dem Bild seine Farben entziehen, ließe sich keinerlei Unterschied zwischen den klassischen Noir-Vertretern und diesem Neo-Noir ausmachen. Einen großen Anteil an der superben Visualisierung hat ohne Zweifel Kameramann Dante Spinotti, welcher L.A. Confidential mit Hilfe unterschiedlichster Stilmittel zur optischen Perfektion verhilft. Die technische Ebene wird zum Spiegel des Narrativen, was eine unheimlich effektvolle Direktheit, deren Wirkung in jeder Sekunde bis zum Maximum ausgekostet wird, aufbaut.
L.A. Confidential verdient ohne Zweifel seinen Ruf als beste Ellroy-Umsetzung und sticht damit andere Adaptionsversuche wie den inakzeptablen Cop (1988), basierend auf Ellroys erstem Teil der wuchtigen Lloyd-Hopkins-Trilogie, genauso wie Brian De Palmas mittelmäßigen Black Dahlia (2006) problemlos aus. Die inhaltliche Dichte wird ohne große Probleme filmgerecht komprimiert. Der kantige Stil und die Rauheit der Vorlage finden sich kompromisslos umgesetzt. Abgerundet wird das Gesamtpaket schließlich noch durch einen hervorragenden Cast, welcher u. a. mit Höchstleistungen von Russel Crowe, Kevin Spacey und Kim Basinger aufwarten kann (10/10 Punkten).
Frankreich hat sich in den letzten Jahren als recht kompetente Anlaufstelle für den begierigen Gorehound erwiesen. Dass dabei nicht alles Glänzende auch Goldstatus für sich beanspruchen darf, beweist nach gelungenen Genre-Produktionen wie Alexandre Ajas High Tension (2003) ein Film jüngerer Generation: Frontier(s) – ein uninspirierter Zwitter irgendwo zwischen Texas Chainsaw Massacre und Hostel.
Nach einem fehlgeschlagenen Raubüberfall flieht eine Gruppe junger Krimineller aus dem von Unruhen gebeutelten Paris. Ihr Ziel: ein ruhiger Ort nahe der belgischen Grenze, wo man untertauchen will, bis sich die Wogen glätten. Das kleine Hotel, in dem sie absteigen, führt sie jedoch auf direktem Weg vom Regen in die Traufe, denn bei den Besitzern handelt es sich um eine inzestuös-sadistische Nazifamilie, die sich dort nach Ende des 2. Weltkrieges angesiedelt hat.
Zugegeben, Frontier(s) überschreitet Grenzen, wahrscheinlich jedoch gänzlich andere als von Regisseur Xavier Gens intendiert. Schneller, höher, weiter oder: kränker, dreckiger und blutiger. So in etwa muss die inoffizielle Maxime gewesen sein. Doch gewollt, ist noch lange nicht gekonnt und deshalb geht die Grenzverschiebung eher in Richtung unfreiwilliger Komiker und mangelnder Kreativität seitens des Drehbuchs. Man muss sich nur einmal vor Augen führen, wie wild und ungeniert bei den amerikanischen Genrekollegen (die bisweilen auch nicht wesentlich besser sind) gewildert wird. Billige Klischees bleiben dabei nicht außen vor und werden gleich umunwunden mitverwurstet. Ganz böse und unfreiwillig komisch ist die Porträtierung der Nazifamilie, der man sogleich jede Stereotype, die man irgendwo aufgabeln konnte, zu Eigen gemacht hat.
Vollkommen unpointiert und nur von vermeintlichen Ekel- und Gewaltszenen (die immerhin solide umgesetzt wurden) getragen, dümpelt Frontier(s) orientierungslos bis zum Finale vor sich hin. Den Gorehound wird’s vielleicht freuen, jeder der zumindest ein wenig Spannung, Geschichte oder ein bisschen Pepp in Bezug auf die Inszenierung wünscht, sollte sich woanders umsehen. (3/10 Punkten)
P.S.: Besonderes Highlight des Films sind die in der französischen Originalfassung eingestreuten, deutschen Sätze des Familienoberhaupts. Schön lächerlich.
Die kreativen Köpfe der Filmindustrie, insbesondere jene des Actiongenres, sind scheinbar ständig gezwungen, sich gegenseitig zu übertrumpfen und mit immer neuen Schauwerten zu glänzen. Logisch, oftmals haben die Machwerke auch nicht wesentlich mehr im Gepäck, womit sie punkten könnten. Da wird dem Auge des Zuschauers schon mal mehr Aufmerksamkeit geschenkt als dem zentralen Denkorgan. Ein weiterer Aspirant dieser Sorte ist „Wanted“ (2008)- Timur Bekmambetovs („Nochnoy dozor“, „Dnevnoy dozor“) US-amerikanisches Spielfilmdebüt.
Die Story desselben ist kurz erzählt: Loser Wesley Gibson erhält die Nachricht vom Tod seines Vaters. Dies allein reicht sicherlich schon aus, um jemanden gehörig aus der Bahn zu werfen, doch es kommt noch dicker. Ihm wird offenbart, dass sein Vater ein Profikiller der ganz harten Sorte war. Nun ist es an Wesley in die Fußstapfen seines alten Herrn zu treten und die Jagd auf dessen Killer zu eröffnen.
In Petto hat Bekmambetov ein bemerkenswert substanzloses Machwerk mit einem zum Teil (ehrlicherweise zugegebenen) nicht zu unterschätzenden Unterhaltungsfaktor, welcher jedoch insbesondere zu Anfang noch stark um die Oberhand zu kämpfen hat. Der Feind: ein oftmals absolut nervig-selbstzweckhafter Einsatz optischer Stilmittel in Kombination mit einer pseudozynischen Einführung des ungeheuer unsympathischen Standard-Losers Wesley Gibson. Sind diese Querelen erst einmal überstanden, darf sich der geneigte Zuschauer an massig spektakulären Actionszenen ergötzen, die durchaus imposant geraten sind. Der typische Wermutstropfen: das Gebotene wirkt selbst für eine Comicadaption, ja selbst für ein Comicuniversum, wo schließlich so einiges erlaubt ist, derart lächerlich und überzogen, dass man einerseits zwar kaum aus dem Staunen herauskommt, sich andererseits hinterher nichtsdestotrotz vollkommen ungesättigt fühlt. Ein bemerkenswert ambivalentes Gefühl, welches dieser Film hervorzurufen vermag.
Um dieses Gefühl jedoch beim Zuschauer so weit wie möglich einzudämmen, hat man sich im Script auf Bewährtes besonnen. Deshalb darf natürlich beispielsweise Wesleys Training, welches ihn vom Bürohengst zum Superkiller macht, in aller Breite ausgewalzt werden. Der Weg ist das Ziel… oder wie war das doch gleich?! Das einzige Plus, was „Wanted“ diesbezüglich jedoch einheimsen kann, ist die frische Rohheit im Umgang mit Wesley, dem man es irgendwie gönnt. Fragt man am Ende nun nach der Moral von der Geschichte, so kann sie nur lauten: Verlasse dich auf einen Webstuhl und du wirst sehen, wo dich das hinführt. 5/10 Punkten.
Film als Kunst von Rudolf Arnheim.
Über 75 Jahre alt und doch kein bisschen müde: Das 1932 in Berlin erschienene „Film als Kunst“ des Medientheoretikers Rudolf Arnheim hat über die Jahre fast nichts von seiner Aktualität verloren. Einzig die zeitgeschichtlichen Begleitumstände haben sich weiterentwickelt. Während der damalige Film noch stark unter seinem Ruf als Jahrmarktsattraktion zu leiden hatte und aufgrund seines vermeintlich reproduzierenden Charakters nicht als Kunstform angesehen wurde, dürfte dieses Thema anno 2008 weitestgehend vom Tisch sein. Doch verharren wir noch einen Moment bei den Anfängen, denn die Verweigerung Film als Kunstform anzusehen, ist schließlich der Grund, dass „Film als Kunst“ überhaupt existiert. Rudolf Arnheim untersucht darin mit bestechender Logik verschiedenste Eigenschaften des Mediums (bspw. die fehlende Raumwirkung bzw. Flächigkeit des Filmbildes im Gegensatz zur dreidimensionalen Realität) und analysiert nachvollziehbar die kreativen Gestaltungsmöglichkeiten (Wahl des Blickwinkels, Entfernung zum Objekt etc.), welche die Arbeit mit der Filmkamera mit sich bringen. Seine selbst gestecktes Ziel: All jene Skeptiker, die im Medium Film lediglich eine Reproduktion der Wirklichkeit sehen, mit klaren Argumenten Lügen zu strafen. Viele Gedankengänge bestechen dabei vor allem durch ihre äußerst souveräne sprachliche Präsentation, die das Buch zu einem flüssigen Lesegenuss machen. Man muss kein Studium der Medienwissenschaften absolviert haben, um Arnheims Diskurs folgen zu können. Doch sollte diese Tatsache keinesfalls über die inhaltliche Komplexität von „Film als Kunst“ hinwegtäuschen. Aber was macht dieses Buch nun für heutige Generationen so interessant? Heute ist es weniger Arnheims Versuch, seine Leserschaft von der Tatsache zu überzeugen, dass Film eine Kunstform ist. Es ist vielmehr das schlichte Aufzeigen verschiedenster künstlerischer Gestaltungsmöglichkeiten/-aspekte, losgelöst von Arnheims ursprünglicher Intention. Es ist das Formulieren von allgemeingültigen Beobachtungen, die sowohl für kreative Köpfe als auch den schlichtweg interessierten Laien interessant sind. „Film als Kunst“ ist für jeden, der sich für Medientheorien begeistern kann, mehr als nur eine Empfehlung! (10/10 Punkten)
Was geschieht, wenn die Gesellschaft stetig weiter zerfällt und die Erziehung der rebellierenden nächsten Generation immer stärker aus dem Ruder zu laufen droht? Es werden Gesetze erlassen wie der „Battle Royale Act“, der vorsieht, dass eine ausgesuchte Klasse von Delinquenten auf einer geräumten Insel ein zynisches Spiel auf Leben und Tod zu absolvieren hat. Die Regeln sind einfach: Töte, um zu überleben. Denn nur die Person, die innerhalb eines gesetzten Zeitlimits auch den letzten Klassenkamerad getötet hat, kommt mit heiler Haut davon, wird zum Gewinner des „Königlichen Kampfes“.
Kinji Fukasakus „Battle Royale“ (2000) ist eine erschütternde, unbeschreiblich intensive Erfahrung. Vordergründig beruhen diese Empfindungen sicherlich auf der expliziten Darstellung des gnadenlosen Kampfes zwischen den Schülern. „Battle Royale“ funktioniert als harter Actionfilm ohne Zweifel perfekt. Die Inszenierung fährt fast durchgängig ein unglaublich hohes Tempo, was den Zuschauer zwischen den Kämpfen kaum zur Ruhe kommen lässt. Die Action wird vollmundig kredenzt und ist für den Freund derber Kost genau das Richtige. Doch genügen diese Kriterien allein, um aus dem Film das aufwühlende Meisterwerk zu machen, das er ist? Wohl kaum. Den eindringlichsten Beweis dafür erbringen Filme, wie Scott Wipers ähnlich angelegter „Die Todeskandidaten“(2007). Ein Kratzen an der Oberfläche von „Battle Royale“ hingegen lohnt sich. Zu Tage tritt ein bitterböser und ungeschönter Spiegel der Gesellschaft, der elementares, menschliches Verhalten anhand einer 40-köpfigen Schulklasse, die sich dem Tod gegenüber sieht, analysiert. Dabei tritt die Frage nach der wahren Natur des (unzivilisierten) Menschen in den Fokus. Was von unserem alltäglichen Verhalten sind wir selbst und was davon geht auf soziale bzw. zivilisatorische Zwänge und Reglementierung zurück? Erst der Überlebenskampf auf der Insel ermöglicht einen Blick hinter die Fassade, wenn etwa ein ausgespannter Freund zur Ursache eines Blutbades wird. Für jeden Schüler wird obige Frage gestellt – jedes Mal erhält man eine individuelle Antwort. Neid, Misstrauen und Angst werden zum Funken, der alle Fassaden sprengt. Zumindest dort, wo sie nicht schon bereits gefallen sind. Den einzigen Vorwurf, den man Fukasakus Film machen könnte, ist, dass er zumindest bei der Erstsichtung kaum Zeit lässt, um großartig über solche Aspekte nachzudenken. Dies ist jedoch ein Zugeständnis, dass man als Zuschauer gerne akzeptiert, wenn das Resultat eine solch überzeugende Mischung aus Unterhaltungsfilm und Tiefgang ist. (10/10 Punkten)
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Dies ist zweifelsohne nicht falsch. Oftmals erweist es sich jedoch als spannend, zu erfahren, was Wörter für ein Vermögen besitzen, wenn man sie nicht in direkte Konkurrenz zu Bildern setzt, sondern sie vielmehr über (laufende) Bilder berichten lässt. Aus diesem Grund möchte ich an dieser Stelle die neue Rubrik „Buchrezensionen“ einführen, die sich künftig mit dem Thema „Film in der Literatur“ beschäftigen wird. Die Spanne dafür ist weit bemessen: Drehbücher, Biographien, Filmvorlagen, theoretische Texte zur Filmgeschichte u. ä. Alles jenes findet in der neuen Rubrik seinen potentiellen Platz.
Francois Truffaut von Antoine de Baecque & Serge Toubiana
Die erste Empfehlung dieser neuen Rubrik hat sich ganz der Liebe verschrieben. Sowohl der Liebe zum Kino allgemein, als auch der Liebe zu einem großen Regisseur: Francois Truffaut, welchem Antoine de Baecques und Serge Toubiana mit ihrer schlicht „Francois Truffaut“ betitelten Mammut-Biographie ein überlebensgroßes Denkmal setzen. Aufwändig recherchiert und mit einem besonderen Blick für Details rekonstruieren sie Truffauts Lebensweg. Von den komplizierten Jugendjahren bis hin zu seinem frühzeitigen Tod im Jahr 1984 verknüpfen sie den Privatmenschen mit seinem filmischen Schaffen. Der Kampf als Filmkritiker gegen das „alte Qualitätskino“, der Überraschungserfolg seines Spielfilmerstlings „Sie küßten und sie schlugen ihn“ und die sukzessiv erfolgende Etablierung in der Filmbranche sind nur einige wichtige Etappen im Leben Truffauts, die das Gespann de Baecque/Toubiana vor den Augen des Lesers wiederauferstehen lässt. Neben einer wirklich gelungenen, von tiefem Verständnis zeugenden Biographie gelingt dem Autoren-Duo zeitgleich ein spannender Abriss des damaligen Kinos, insbesondere der aufkeimenden „Nouvelle Vague“. Godard, Rohmer, Rivette, Chabrol und Co. Alle sind sie mit von der Partie, sowohl als Teil des neuen französischen Films als auch von Truffauts Leben.
Ohne unnötige Überdramatisierung der Lebensgeschichte gelingt es dem Buch den Leser zu fesseln und für den Menschen Truffaut zu begeistern – für einen Menschen, der bei weitem kein einfacher Charakter war. Jedoch ein Charakter mit Charme, Anziehungskraft und Leidenschaft, was jede einzelne Seite der Biographie spüren lässt – ohne jedoch langweilig einseitig oder verklärend daherzukommen. Ein weiterer positiver Aspekt ist der lebendige und mitreißende Schreibstil bzw. eine gute deutsche Übersetzung des selbigen. Das Resultat: akute Suchtgefahr, die soweit führt, dass man das Buch nicht mehr freiwillig beiseite legen möchte. Abschließend bleibt zu sagen, in diesem Buch steckt soviel Liebe, dass man gar nicht anders kann, als ihm ebenso viel Liebe entgegen zu bringen. Die Magie des Buchs lässt Cinephilen schlicht keine andere Wahl, als sich gefangen nehmen zu lassen, um vielleicht hinterher die Welt des Films mit anderen Augen entdecken zu können. In Punkten wären es glatte 11/10 Punkten.
Müssen wir bei Urlaubswerbungen vielleicht künftig wie im Fall von Zigaretten mit kleinen Warnslogans rechnen? „Achtung! Urlaub gefährdet Ihre Gesundheit und kann im schlimmsten Fall zum Tod führen!“. Dahin könnte tatsächlich der Trend gehen, betracht man die aktuelle Entwicklung im Horrorgenre. Horror entspringt vermehrt der Zeit, in der man seine Kraftreserven auftanken bzw. einfach die Seele baumeln lassen will: dem Urlaub. Seien es „Hostel 1+2“, „The Hitcher“ (2007), „Texas Chainsaw Massacre: The Beginning” oder der 2008 angelaufene “Ruinen”.
In letzterem erleben zwei amerikanische Pärchen im Zuge ihres Mexiko-Aufenthalts das pure Urlaubsgrauen. Während der Besichtigung einer abgelegenen Ruine geraten sie und ihre Führer mit den dortigen Einheimischen aneinander. Ohne zu wissen, warum man es auf sie abgesehen hat, fliehen sie auf eine alte Maya-Ruine, auf der man sie künftig durch Waffengewalt isoliert. Erst nach und nach klärt sich, dass es etwas mit dem pflanzlichen Bewuchs der Ruine zu tun haben scheint.
Carter Smiths „Ruins“ liefert dem Horrorfan Standardkost in einer netten kleinen Variante. Weder eine Organisation von Menschenhändlern noch ein Killer on the loose hat es diesmal auf die jugendlichen Protagonisten abgesehen. Vielmehr ist es im Fall von „Ruins“ eine äußerst aggressive Pflanze, die in einer Mischung aus Efeu, Klatschmohn und Cannabis Tod und Verderben für alle diejenigen bedeutet, die sich in ihre Nähe wagen. Weiter reicht dann die Individualität des Spektakels auch nicht, denn ansonsten bietet der Film die typisch platten Horror-Charaktere sowie einige Logikfehler, die mittlerweile irgendwie schon beinahe als obligatorischer Bestandteil des Genres erscheinen. Bei all den Kritikpunkten will man „Ruinen“ jedoch gar nicht absprechen, dass er als Unterhaltung für zwischendurch durchaus keine Fehlentscheidung sein muss. Es gibt einen erkennbaren Spannungsbogen, der den Zuschauer über 90 Minuten bei der Stange halten kann. Des Weiteren kommen hier auch Fans deftiger Effekte auf ihre Kosten und das ganz ohne auf „Hostel 2“-Niveau sinken zu müssen. Alles in allem lautet das Rezept: man nehme ein bisschen Psychoterror, ein paar bitterböse, blutige Einlagen und mische das Ganze mit einem ungewöhnlichen Feindbild. Fertig ist „Ruinen“. Kurzweilig und leicht verdaulich. (6,5/10 Punkten)
Ich glaube nicht an Reinkarnation, jedoch hätte mich Dario Argentos „Mother of Tears“ beinahe eines besseren belehrt. Lässt sich da nicht – besonders deutlich im Kontext der ausschweifenden und zuweilen unmotivierten Gewaltexzesse – deutlich die Handschrift des ’96 verstorbenen Genrefilmers Lucio Fulci erkennen, der geradezu unverschämt oft nach dem Credo „Tut’s nicht die Handlung, tut’s der Gorefaktor“ verfahren ist? Einstmals ein Sakrileg beide Namen in einem Atemzug dem Mund entweichen zu lassen, nach den filmischen Gurken der letzten Jahre vielleicht durchaus eine abzuwägende Überlegung? Wer weiß, doch zunächst einmal halblang, denn trotz der Kritikpunkte, die sich „Mother of Tears“ vorwerfen lassen muss, kann man Argento durchaus auch heute noch handwerkliche Souveränität attestieren – jedoch nicht zu verwechseln mit dem kreativen Quell früherer Werke. Alles andere bleibt leider hinter den hohen Erwartungen, die angesichts der Vorgänger „Suspiria“ und „Horror Infernal“ durchaus ihre Daseinsberechtigung haben, zurück. Zugegebenermaßen, „Mother of Tears“ ist nicht der amateurhafte Totalausfall, zu dem er gerne hochstilisiert wird. Nichtsdestotrotz liegen Welten, wenn nicht sogar ganze Galaxien zwischen dem Argento von damals und dem von heute. Hat sich Argento so stark weiterentwickelt und seine Anhänger vergessen mitzunehmen? Zumindest letzterer Aspekt dürfte nicht ganz aus der Luft gegriffen sein. Die Fans wollen das, womit sie Argento in den 70/80ern verwöhnt hat.
Eine gelungene, wenn auch nicht sonderlich originelle Exposition, verspricht zunächst dahingehend Positives. Dieser Eindruck zerstreut sich leider zum Mittelteil hin immer deutlicher. Das Drehbuch bekommt keinerlei Chance dramaturgische Akzente zu setzen, sodass die Flucht bzw. der Kampf gegen die Mutter der Tränen absolut beliebig daherkommt. Aus Filmen wie z.B. „Tenebre“, „Suspiria“ oder „Opera“ haben sich dutzende Szenen – wenn nicht sogar der komplette Film – aufgrund ihrer kreativen Einzigartigkeit und ihrer ungeheuren, rohen Energie ins Gedächtnis gebrannt. Von „Mother of Tears“ bleibt, nachdem der Abspann gelaufen ist, leider nicht sonderlich viel haften. Selbst die teilweise ziemlich heftigen Gore-Effekte, mit denen Argento schon in „Pelts“ nicht gegeizt hat, verfehlen ihre Wirkung. Sie unterstreichen nichts, sie sind lediglich eine plakative Selbstschau, was auf die Dauer einen eher ermüdenden und abstumpfenden Charakter erhält.
Und was bietet „Mother of Tears“ sonst noch? Zahlreiche Querverweise auf die Vorgänger, die in ihrer Tragweite nicht über bloßes namedropping hinausreichen. Ein in Rom stattfindendes pseudoapokalyptisches Weltuntergangsszenario, das zwar nett gemeint ist, aber in seinen Ausmaßen eher dem berühmten Sturm im Wasserglas gleicht. Zudem noch die wohl peinlichsten Hexen der Filmgeschichte, die eher Gruftivarianten von „Germany Next Topmodel“ zu entsprechen scheinen. (5,5/10 Punkten)
Vier faschistische italienische Großbürger ziehen sich mit einer Gruppe bestehend aus Jungen und Mädchen auf ein entlegenes Schloss zurück, um dort ihren perversen Neigungen mit den unterworfenen Jugendlichen zu frönen. Das also ist der Stoff, aus dem Skandale sind. Pier Paolo Pasolinis „Die 120 Tage von Sodom“ hat wie kaum ein zweiter Film zu seiner Entstehungszeit für weltweiten Aufruhr und Verbote gesorgt. Und selbst aus heutiger Sicht – in einer deutlich abgestumpfteren Welt – hat das Werk nichts von seiner Mark erschütternden Wirkung verloren. Pasolinis letzte Regiearbeit als „unbequem“ zu bezeichnen, ist zweifelsohne ein Euphemismus. Selten wurden sinnlose Qualen, unmenschliche Folter und totale Erniedrigungen so drastisch und konsequent in Szene gesetzt. Zusätzliche Intensität bekommt das Gezeigte durch eine betont karg-kühle und trostlose Inszenierungsweise, die sich vor allem im Dekor des Films widerspiegelt.
Es ist zweifelsohne nicht korrekt, „Die 120 Tage von Sodom“ auf seine Schockwirkung – wie es im Verlauf der Filmgeschichte sicherlich nicht zum ersten Mal geschehen ist – zu reduzieren und ihn somit auf eine Stufe mit gängigen Exploitern zu stellen. Der Film zeichnet vielmehr ein ungeheuer wuchtiges Panoptikum menschlicher und seelischer Dunkelheit im Kontext des Faschismus/ Nationalsozialismus. Allein mittels Pasolinis Charakterisierung der vier Protagonisten sowie der Darstellung der „Opfer“, auf welche nicht näher eingegangen wird (jene bleiben vielmehr eine widerstandslose Masse, die sich ergeben ihrem Schicksal fügt), gelingt eine erschreckende Parabel in Bezug auf die politischen Verhältnisse zur Regierungszeit Mussolinis. Angelehnt an Dantes „Göttliche Komödie“ hat Pasolini sein Werk in drei Höllenkreise (Höllenkreis der Manien, der Scheiße und des Blutes) unterteilt und führt den Zuschauer direkt ins Zentrum jedes dieser Monstrositätenkabinette.
Objektiv gesehen kann man ablehnende Reaktionen des Films gegenüber bis zu einem gewissen Grad durchaus nachvollziehen, denn Pasolini bedient sich ohne Zweifel einer bis aufs Äußerste abstoßenden Bildsprache, die den ein oder anderen wunden Punkt trifft – aber dies nun einmal auch soll. Der Zuschauer, der jedoch hinter die augenscheinliche Fassade blickt, wird zwar trotzdem mit einer nicht minder abstoßenden Welt konfrontiert, lernt diese aber in einem ganz anderen Kontext – fernab von bloßem Provokationswillen – kennen. (8/10 Punkten)